Mensch + Maschine

Mensch + Maschine

Der Volkswagen Konzern und die kalifornische Universität Stanford kooperieren eng bei der Erforschung neuer Technologien. Pilotiertes Fahren steht für Professor Jürgen Leohold, Leiter der Konzernforschung, und den Stanford-Professor Christian Gerdes ganz oben auf der Agenda. Im Gespräch mit den beiden Experten wird klar: Sie setzen auf schrittweise Automatisierung und lernende Maschinen.

Professor Jürgen Leohold

Professor Christian Gerdes

Fahren die Autos auf unseren Straßen demnächst autonom, also ohne Zutun des Fahrers?

Professor Jürgen Leohold

Pilotiertes Fahren im dichten Autobahnverkehr wird schon bald selbstverständlich sein. Und in Zukunft sucht sich das Auto auch seinen Parkplatz selbst, nachdem der Fahrer ausgestiegen ist. Was wir aber definitiv nicht sehen werden, zumindest nicht in den nächsten zehn Jahren, sind Roboter-Autos, die in jeder Verkehrssituation vollautomatisch ihren Weg finden. Wir reden also nicht über eine Revolution, sondern über die evolutionäre Weiterentwicklung der Fahrerassistenzsysteme, mit denen wir schon heute unsere Fahrzeuge ausstatten.

Professor Christian Gerdes

Letztlich dürfen wir nicht vergessen, zu welchen großartigen kognitiven Leistungen Menschen in der Lage sind, insbesondere in komplexen Situationen. Da Ingenieure diese Leistung noch nicht duplizieren können, müssen wir anfangs das Problem vereinfachen. Das kann uns zum Beispiel gelingen, indem wir das Auto nur mit niedrigen Geschwindigkeiten oder auf bestimmten Streckenabschnitten fahren lassen, oder indem wir einzelne Fahraufgaben Schritt für Schritt automatisieren.

Professor Jürgen Leohold

Als Forscher arbeiten wir natürlich auch an den Grundlagen für automatisiertes Fahren in der Stadt. Ein entsprechendes Fahrzeug müsste aber alle Situationen beherrschen, die in der Realität auftreten können. Und zwar nicht nur bei gutem Wetter, sondern auch, wenn es beispielsweise schneit. Zudem müssen Maschinen die für uns selbstverständliche Kommunikation lernen – etwa, wenn wir uns per Blickkontakt und Gestik darauf verständigen, wer eine Kreuzung zuerst überquert.

Sind die Kunden denn überhaupt bereit, der Maschine das Lenkrad zu überlassen?

Professor Christian Gerdes

Ich bin überzeugt davon, dass jeder in bestimmten Situationen, etwa im Stop-and-go-Verkehr, das Steuer gerne abgibt. Wir müssen nur dafür sorgen, dass der Mensch sich an Bord eines automatisierten Fahrzeugs sicher fühlt.

Professor Jürgen Leohold

Deshalb forschen wir intensiv daran, wie Anzeige und Bedienung für solche Fahrzeuge aussehen sollen. Das muss so einfach und intuitiv wie möglich sein. Der Fahrer soll über ein Display immer genau nachvollziehen können, was das Auto gerade macht. So werden alle Fahrmanöver angezeigt, bevor sie ausgeführt werden.

Professor Christian Gerdes

Wie sich automatisiertes Fahren anfühlen soll, untersuchen das Electronics Research Laboratory (ERL) der Volkswagen Group of America in Kalifornien und die Universität Stanford übrigens gemeinsam. Wir analysieren unter anderem, was professionelle Chauffeure tun, um ihren Kunden Vertrauen zu vermitteln.

Professor Jürgen Leohold

Und dabei geht es nicht nur um akustische oder optische Signale, sondern auch darum, wie ein Kunde zum Beispiel Längs- und Querbeschleunigung empfindet. Davon wird abhängen, ob Menschen einem technischen System vertrauen oder nicht. Eventuell werden sich die Autopiloten sogar an den individuellen Fahrstil des Kunden anpassen.

Ist das automatisierte Fahren sicherer?

Professor Jürgen Leohold

Wir automatisieren die Funktionen, von denen wir absolut überzeugt sind, dass sie die Verkehrssicherheit – und zwar für alle Verkehrsteilnehmer – steigern.

Professor Christian Gerdes

Wir glauben daran, dass es eines Tages möglich sein wird, Fahrzeuge zu bauen, die jeden Unfall vermeiden, soweit dies physikalisch möglich ist. Diese wären dann sogar deutlich leichter, weil ein Teil der Sicherheitsausstattung entfiele. Das wiederum würde dazu führen, dass der Kraftstoffverbrauch sinkt.

Professor Jürgen Leohold

Dafür ist aber noch viel Forschung und Entwicklung notwendig, etwa bei der Sensortechnik, bei der Software und den Testverfahren.

Welche Rolle spielt Vernetzung für das automatisierte Fahren?

Professor Jürgen Leohold

Ein automatisiertes Auto ist immer auch ein vernetztes Auto – allein schon, damit es jederzeit die neuesten Kartendaten abrufen kann. Aber die Vernetzung kann auch dazu beitragen, dass Autos innerhalb von Millisekunden die richtigen Entscheidungen treffen, indem sie auf die Informationen anderer Fahrzeuge zurückgreifen.

Professor Christian Gerdes

Solche selbstlernenden Computerprogramme sind heute keine Fiktion mehr. Für uns als Forscher stellt sich jetzt die Frage, wie wir dieses Lernen organisieren. In der Zukunft werden Autos mit einem Server verbunden sein, der es ihnen ermöglicht, von den Erfahrungen der anderen an das Netzwerk angeschlossenen Fahrzeuge zu profitieren.

Und was tut Volkswagen für den Datenschutz?

Professor Christian Gerdes

Viele Menschen sind bereit, gewisse Daten preiszugeben, wenn sie dafür komfortabler leben können oder einen echten Mehrwert erhalten. Wir beobachten das beispielsweise bei der Nutzung sozialer Medien.

Professor Jürgen Leohold

Entscheidend ist für Volkswagen, dass jeder Kunde selbst bestimmen kann, ob und in welchem Umfang Daten aus seinem Fahrzeug weitergegeben werden. Es geht um Transparenz und Vertrauen. Die anonymisierten Fahrzeugdaten sollen ausschließlich dafür genutzt werden, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Das Auto wird also nicht zur Datenkrake.

Professor Jürgen Leohold

leitet seit 2006 die Volkswagen Konzernforschung. Der Elektrotechniker begann seine Karriere bei Volkswagen im Jahr 1987 und hatte zunächst verschiedene Positionen in der Elektrik- und Elektronikentwicklung inne. In den Jahren 2002 bis 2005 nahm Leohold vorübergehend eine Berufung auf den Lehrstuhl für Fahrzeugsysteme und Grundlagen der Elektrotechnik an der Universität Kassel an.

Professor Christian Gerdes

ist Professor für Maschinenbau an der Universität Stanford. Er leitet dort unter anderem das „Dynamic Design Lab“, das eng mit dem kalifornischen Elektronik-Entwicklungszentrum der Volkswagen Group of America zusammenarbeitet. Gerdes gilt in der Automobilbranche als einer der führenden Experten für automatisiertes Fahren. Schon seine Doktorarbeit im Jahr 1996 widmete er diesem Thema.

TEXT
Johannes Winterhagen

FOTOGRAFIE
Georg Roske