Das Netzwerk

Das Netzwerk

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Autos warnen sich in Adhoc-Netzwerken gegenseitig vor Gefahren

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Ampeln und Verkehrsschilder kommunizieren mit dem Fahrzeug

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Smartphone und automobiles Infotainment wachsen zusammen

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Auto und Wohnung teilen Informationen und Energie

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Aus dem Fahrzeug Zugriff auf das gesamte Internet – aber über gesicherte Volkswagen Server

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Die Positionsbestimmung per GPS wird noch exakter

Das Auto der Zukunft ist Teil des „Internets der Dinge“, über das Maschinen miteinander Informationen austauschen. Bei Volkswagen arbeiten Ingenieure und Informatiker an Vernetzungstechnologien, die das Fahren komfortabler, sicherer und umweltfreundlicher machen. Sie sind dabei selbst Teil eines konzernweiten Netzwerks.

Die Tür fällt satt ins Schloss. Anschnallen, mit dem Zündschlüssel den Motor starten, Gang einlegen. Und los geht’s. So begannen noch zur Jahrtausendwende die meisten Autofahrten. Seither sind einige Handgriffe hinzugekommen: das Smartphone aus der Tasche holen, in eine Halterung stecken oder einfach in die Mittelkonsole legen. Und natürlich das Navigationssystem programmieren – selbst wenn der Fahrer das Ziel kennt, denn es könnte ja irgendwo einen Stau geben. Erst dann wird der Motor gestartet, und das immer häufiger ganz einfach per Knopfdruck.

Das Smartphone hat den Alltag der Menschen verändert. 2013 besaßen etwa 40 Prozent aller Deutschen ein solches Gerät, bereits ein Jahr später waren es 50 Prozent – und die Zahl steigt weiter. Als der Informatiker und Internet-Visionär Mark Weiser im Jahr 1991 seinen berühmt gewordenen Aufsatz „Der Computer für das 21. Jahrhundert“ veröffentlichte, leitete er ihn mit den Sätzen ein: „Die erfolgreichsten Technologien sind jene, die unsichtbar werden. Sie verweben sich mit dem Stoff unseres täglichen Lebens und können von diesem nicht mehr unterschieden werden.“ Ohne Zweifel hat sich das Smartphone zu einer solchen Technologie entwickelt, mit weitreichenden Folgen: Wer es gewohnt ist, „always on“ zu sein, will darauf auch im Auto nicht verzichten.

So tief greifend der Wandel auch sein mag, überraschend kommt er für Volkmar Tanneberger nicht. Der promovierte Ingenieur leitet bei Volkswagen die konzernweite Elektrik- und Elektronikentwicklung. Mit Vernetzung beschäftigte er sich bereits vor 20 Jahren. „Nur haben wir damals etwas anderes darunter verstanden“, erläutert Tanneberger. „Es galt zunächst, die einzelnen Steuergeräte innerhalb des Autos so zu vernetzen, dass Motor, Getriebe und Fahrwerk optimal zusammenspielen.“ Gemeint war damit zum Beispiel, beim Anfahren auf Schnee das Durchdrehen der Räder zu verhindern, indem das Drehmoment des Motors verringert und gleichzeitig die Bremse aktiviert wurde.

Auch heute werden solche Funktionen sorgsam für jedes neue Modell im Volkswagen Konzern entwickelt. Und doch gilt die Aufmerksamkeit Tannebergers einer anderen Form der Vernetzung: der des Autos mit seiner Umwelt. „Bis zum Jahr 2020 sollen alle Neuwagen, die wir ausliefern, über einen Internetanschluss verfügen.“ Das Auto mit eigener IP-Adresse wird zu einem Teil des Internets der Dinge. Damit öffnet sich das Tor für den permanenten Informationsaustausch. Hochaktuelle Online-Verkehrsflussinformationen werden in die Routenführung einbezogen. Wer einen Parkplatz sucht, kann sich zu einem Parkhaus mit freien Stellplätzen dirigieren lassen. Viele weitere internetbasierte Funktionen, die das Autofahren erleichtern, sind in der Entwicklung. Zum Beispiel soll das Navigationssystem künftig auch anzeigen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich in der Umgebung freie Parkplätze auf öffentlichen Straßen befinden.

Das Auto der Zukunft ist nicht nur selbst intelligent und vernetzt, es wird außerdem mit dem Smartphone seines Fahrers eng zusammenarbeiten. „Unsere Kunden erwarten einfach, dass sie bestimmte Funktionen ihrer mobilen Geräte auch im Auto nutzen können“, sagt Tanneberger. In enger Kooperation mit Apple und Google erarbeitet Volkswagen daher Standards für die Kommunikation zwischen dem Betriebssystem des Smartphones und dem Infotainmentsystem im Fahrzeug. Zertifizierte Apps können so auf dem Display in der Mittelkonsole dargestellt und sicher bedient werden. Im Jahr 2015 werden die ersten Fahrzeuge damit ausgerüstet. Hinzu kommt der Standard „MirrorLink“, der eine solche Übertragung auch unabhängig vom Handy-Betriebssystem ermöglicht. Er ist heute bereits verfügbar, unter anderem im Volkswagen Polo1 und im ŠKODA Fabia2.

Dr. Volkmar Tanneberger (Foto)

„Unsere Kunden erwarten einfach, dass sie bestimmte Funktionen ihrer mobilen Geräte auch im Auto nutzen können.“

Dr. Volkmar Tanneberger, Leiter Elektrik- und Elektronikentwicklung, Volkswagen Konzern

Für die Entwickler bei Volkswagen bedeutet das Zusammenwachsen von Automobil- und Unterhaltungselektronik eine große Herausforderung. Denn während der Lebenszyklus eines Fahrzeugs rund sieben Jahre beträgt, kommen neue Smartphone-Modelle im Jahresrhythmus auf den Markt, und die jeweiligen Betriebssysteme werden sogar laufend aktualisiert. Die Prozessorleistung, wichtigste technische Voraussetzung für schnelle Berechnungen und eine immer bessere Grafikdarstellung, steigt permanent. Die Antwort des Volkswagen Konzerns auf die kurzen Innovationszyklen in der Informationstechnik ist der Modulare Infotainment Baukasten (MIB). Entwickelt wird er von Audi und Volkswagen – künftig wird er von allen Konzernmarken genutzt.

Audi will „Vorsprung durch Technik“ auch bei der Integration des Internets ins Auto beweisen und trägt daher die Entwicklungsverantwortung für die High- und Premiumvariante des MIB. Schon im vergangenen Jahrzehnt gründete Audi dafür gemeinsam mit dem finnischen Unternehmen Elektrobit den Entwicklungsdienstleister e.solutions. Geschäftsführer Dr. Riclef Schmidt-Clausen erläutert die Motivation: „Mit der Entwicklung eines eigenen Infotainment-Baukastens sind wir in der Lage, weltweit die besten Hard- und Software-Komponenten zusammenzufügen.“ Daher sind bei der MIB-Software Betriebssystem, Funktionen und grafische Bedienoberfläche konsequent voneinander getrennt. Nach dem Baukastenprinzip können die einzelnen Programmbestandteile für die Adaption an ein bestimmtes Fahrzeugmodell zusammengesetzt werden.

„Wir entwickeln jene Bausteine selbst, die die Wahrnehmung des Kunden prägen“, erläutert Schmidt-Clausen. Dazu gehört vor allem die Bedienoberfläche, deren Programmierung fast die Hälfte des gesamten Codes ausmacht. Auch hier sind die eigentliche Grafik und die Funktion – also das, was passiert, wenn der Fahrer einen bestimmten Befehl gibt – voneinander getrennt. Deshalb kann der Infotainment-Baukasten von verschiedenen Konzernmarken genutzt werden. Mögen sich Tasten und Bildschirmdarstellung noch so sehr unterscheiden, dahinter verbirgt sich stets die gleiche moderne Computertechnik.

Der MIB kommt in immer mehr Konzernmodellen zum Einsatz. Dafür muss die Software auch an die jeweiligen Ländervarianten des MIB angepasst werden, die sich nicht nur hinsichtlich der Sprache, sondern auch bei der Bedienphilosophie unterscheiden können. „Ein modernes Infotainment-System umfasst mehr als 2.000 verschiedene Bildschirmdarstellungen und mehr als zwölf Millionen Zeilen Software-Code“, erläutert Schmidt-Clausen. „Diese Komplexität beherrschen wir nur, weil ein Großteil der Programme immer wieder verwertet werden kann.“ Jede einzelne Variante wird auf Herz und Nieren geprüft und erst dann für die Serienproduktion freigegeben.

Dr. Riclef Schmidt-Clausen (Foto)

„Mit unserem Infotainment-Baukasten sind wir in der Lage, die besten Hard- und Software-Komponenten zusammenzufügen.“

Dr. Riclef Schmidt-Clausen, Geschäftsführer e.solutions

Modular aufgebaut ist auch die Hardware des MIB. Die Grundidee besteht darin, diese in zwei Baugruppen zu unterteilen: Die eine Gruppe umfasst die Komponenten, deren Entwicklung langsamer voranschreitet, beispielsweise der Verstärker oder die Fahrzeugvernetzung. Die andere ist eine Hochleistungsplatine, auf der die schnellsten verfügbaren Prozessoren zum Einsatz kommen. Letztere wird auf den neuesten technischen Stand gebracht, ohne dass das komplette Gerät überarbeitet werden muss. So erhält der Kunde mit einem Neuwagen immer das Maximum an Rechenleistung.

Noch einen Schritt weiter geht Audi mit dem ersten selbst entwickelten Tablet-Computer. Er dient den Passagieren auf der Rücksitzbank als mobiles Unterhaltungsgerät, das vollständig mit dem Fahrzeug vernetzt ist und zusätzlich per Hotspot die Weiten des Internets ins Auto holt. Stolz zeigt Schmidt-Clausen seinen Besuchern einen Prototypen: „Halten Sie ihn ruhig direkt ins Licht. Da spiegelt nichts.“ Doch nicht nur das matte Display, eingefasst in ein hochwertiges, gefrästes Aluminiumgehäuse, unterscheidet das Audi Tablet von handelsüblicher Unterhaltungselektronik. Das „Smart Display“ muss die gleichen Sicherheitsanforderungen erfüllen wie alle anderen Bauteile im Innenraum des Fahrzeugs. Das bedeutet, das Glas des Bildschirms zersplittert bei einem Unfall nicht.

Auch Peter Behrendt, Geschäftsführer der Volkswagen Infotainment GmbH, arbeitet am vernetzten Automobil. Mitte 2014 übernahm Volkswagen das europäische Entwicklungszentrum von Blackberry in Bochum, das sich auf dem Campus der Ruhr-Universität befindet. Der erfahrene Ingenieur, der sich in der Vergangenheit unter anderem um die Fertigung von Kabeln und Bordnetzen kümmerte, überrascht seine Entwicklerkollegen gerne. „Das Automobil ist auch nur ein mobiles Endgerät“, sagt er, um nach einer kurzen Pause hinzuzufügen, „zumindest aus Sicht meines 16-jährigen Neffen.“ Damit das Auto auch für kommende Kundengenerationen attraktiv bleibt, muss es zu einem Internet-Knoten werden und als Schnittstelle für den Datenverkehr dienen.

Auch andernorts baut Volkswagen seine Entwicklungskapazität für Infotainment und Vernetzung aus. Zum Beispiel in Berlin bei der Konzerntochter Carmeq, für die Behrendt ebenfalls verantwortlich ist. „Diese Stadt ist ein attraktiver Standort, um kreative und junge Mitarbeiter für uns zu gewinnen.“ Dabei geht es aber nicht nur um Kapazität, sondern auch darum, die besten Experten zu binden. Zum Beispiel arbeitet ein kleines Team bei Carmeq an einer neuen Form der Sprachbedienung – einem System, das ohne Kommandos auskommt, die vom Anwender erst mühsam gelernt werden müssten. „Natürliche Sprachsteuerung“ nennen die Ingenieure diese Technik, bei der der Fahrer mit der Maschine so redet wie mit einem Menschen. Der Charme beim Einsatz im Auto: Funktionen, die sonst mehrere Bedienschritte durch das Menü erfordern würden, können direkt aufgerufen werden. „Keine andere Technik ermöglicht es bisher, Infotainment-Systeme mit so geringer Ablenkung zu bedienen“, sagt Behrendt. Beispielsweise könnte der Fahrer einfach sagen: „Such mir die billigste Tankstelle in der Umgebung.“ – und bekommt das Ergebnis von der Computerstimme vorgelesen. Bestätigt er die Auswahl, weist ihm sein Navigationssystem den kürzesten Weg dorthin.

Peter Behrendt (Foto)

„Das Automobil ist auch nur ein mobiles Endgerät. Zumindest aus Sicht meines Neffen.“

Peter Behrendt, Geschäftsführer Volkswagen Infotainment GmbH

Für die nähere Zukunft rechnen Experten damit, dass immer mehr Suchfunktionen durch sogenannte „prädiktive Algorithmen“ abgelöst werden. Das bedeutet, dass der Fahrer gar nicht mehr aktiv eine bestimmte Funktion aufrufen muss, sondern das Auto ihm unaufgefordert Vorschläge macht, was zu tun ist. Zum Beispiel erkennt der Computer an Bord, dass das Ziel der Reise nicht mehr mit dem vorhandenen Tankinhalt zu erreichen ist. Hat der Fahrer in der Vergangenheit immer die Tankstelle mit den niedrigsten Kraftstoffpreisen angefahren, kann ihm der Computer nun das geeignetste Ziel direkt vorschlagen – schließlich ist er online jederzeit über die aktuellen Preise an den Tankstellen informiert. Solche Funktionen sind nur zu realisieren, wenn das Fahrzeug aktuelle Daten ständig von einem von Volkswagen zertifizierten und überwachten Server bezieht.

Für Dr. Hans Welfers, Leiter der Elektronikentwicklung von MAN Truck & Bus, ist der ständige Datenaustausch zwischen Fahrzeug und Infrastruktur bereits Alltag. Denn für die Käufer eines Nutzfahrzeugs zählt vor allem eines: die Höhe der Betriebskosten. Der Wettbewerb zwischen den Speditionen ist hart und nimmt durch die Globalisierung weiter zu. Es gilt daher, die Fahrtzeiten, den Kraftstoffverbrauch und die Wartungen zu minimieren. Dabei hilft das Telematik-System von MAN, dessen neueste Version auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) für Nutzfahrzeuge 2014 eines der Messe-Highlights war. Es besteht aus einer modularen Software und einem Sender-Empfänger-Modul im Fahrzeug. Dieses Modul sammelt während des Betriebs alle relevanten Daten – nicht nur Geschwindigkeit, geografische Position und Verbrauch, sondern auch viele Informationen über den technischen Zustand des Fahrzeugs – vom Luftdruck in den Reifen bis zum Verschleiß der Bremsbeläge.

Diese Daten sind für den Fuhrunternehmer bares Geld wert: Der Austausch von Verschleißteilen wie Bremsbelägen oder Reifen kann zum Beispiel vorausschauend organisiert werden – etwa an Tagen, an denen die Gesamtauslastung des Fuhrparks vergleichsweise niedrig ist. Damit anstehende Wartungen rechtzeitig erkannt und geplant werden können, stellt MAN als Teil der Telematik-Lösung ein Wartungsdaten-Portal bereit. Noch höhere Einsparungen verspricht die Analyse der fahrerbezogenen Betriebsdaten. Fahrer, die bei ihren Touren mehr verbrauchen als der Durchschnitt ihrer Kollegen, können gezielt angesprochen und gegebenenfalls nachgeschult werden. „In Versuchen mit Pilotkunden haben wir zeigen können, dass durch die Fahreranalysen Verbrauchsverbesserungen von rund zehn Prozent möglich sind“, erläutert Welfers.

Dr. Hans Welfers (Foto)

„Alle sechs Monate bringen wir eine neue Version von MAN TeleMatics heraus.“

Dr. Hans Welfers, Leiter Elektronikentwicklung, MAN Truck & Bus

Die Hardware und eine Basisversion der Telematik-Software sind in vielen MAN Fahrzeugen bereits serienmäßig an Bord. Der Spediteur kann sein System zudem modular erweitern – beispielsweise um ein Programm zur Erfassung der Lenk- und Ruhezeiten. Die Entwicklung von Apps und Bürosoftware erfolgt durch externe Dienstleister und die MAN Elektronikentwicklung. Die enge Zusammenarbeit zwischen Fahrzeugelektronikern und Software-Experten verkürzt die Entwicklungszeit erheblich. „Alle sechs Monate bringen wir eine neue Version von MAN TeleMatics heraus“, berichtet Welfers. Seine Pkw-Kollegen in Ingolstadt und Wolfsburg äußern sich dazu anerkennend. „Die technischen Lösungen von MAN und Scania sind so fortschrittlich, dass wir einiges davon lernen können“, sagt Tanneberger. So umfasst das Volkswagen Entwicklungsnetzwerk nicht nur Standorte in der ganzen Welt, sondern auch Anwendungen für Fahrzeuge vom Volkswagen up!3 bis zum 40-Tonner. Obwohl über 2.500 Elektrotechniker und Informatiker am Auto der Zukunft arbeiten, will der Konzern auch künftig nicht alles allein entwickeln. „Wir brauchen starke Partnerschaften mit Universitäten und mit anderen Unternehmen, vom Start-up bis zum IT-Weltkonzern“, so Tanneberger. Denn vernetzte Technologie lässt sich nur in starken Netzwerken entwickeln.

1 Volkswagen Polo Kraftstoffverbrauch in l/100 km kombiniert von 3,1 bis 5,1; CO2-Emissionen in g/km kombiniert von 82 bis 115.

2 ŠKODA Fabia Kraftstoffverbrauch in l/100 km kombiniert von 3,4 bis 4,8; CO2-Emissionen in g/km kombiniert von 88 bis 110.

3 Volkswagen up! Kraftstoffverbrauch in l/100 km kombiniert von 4,1 bis 4,7; Stromverbrauch in kWh/100 km kombiniert 11,7; Erdgas in kg/100 km kombiniert 2,9; CO2-Emissionen in g/km kombiniert von 0 bis 109.

TEXT
Johannes Winterhagen

FOTOGRAFIE
Hartmut Nägele