Mensch bleibt Mensch
Jeder Mensch ist einzigartig – mit ganz individuellen Erfahrungen, Vorlieben und Wünschen, die nicht zuletzt durch seine Kultur und seine Sprache geprägt sind. Bedienelemente im Fahrzeug müssen diese Präferenzen berücksichtigen. Speziell für asiatische Kunden entwickelt Audi maßgeschneiderte Mensch-Maschine-Schnittstellen in seinem Forschungs- und Entwicklungszentrum in Peking.
„Die asiatischen Kunden zu verstehen und dieses in landesspezifische Anforderungen zu übersetzen, ist eine unserer Hauptaufgaben.“
Saad Metz, Leiter Audi Entwicklungszentrum Peking
Qiao Jie sitzt am Steuer eines Audi Prototyps und simuliert eine Zieleingabe. Mit einem roten Stift schreibt er die vier chinesischen Schriftzeichen „Bei Jing Da Xue“ für „Peking Universität“ auf eine Karte. Qiao Jie ist ein Testkunde, der von Audi in die Entwicklung der Bedienkonzepte einbezogen wird. Auf dem Beifahrersitz hat Cao Shanshan vom Audi Elektrik- und Elektronik- Kompetenzzentrum in Peking Platz genommen. Sie testet anhand von Karteikarten mit ihrem Probanden die einzelnen Eingabeschritte unterschiedlicher Bedienszenarien. Die einfachen, auf die Karten gedruckten Grafiken symbolisieren das Display der nächsten Generation des Audi Infotainment-Systems für den chinesischen Markt. „Durch die Simulation können wir die Reaktion der Kunden auf das System untersuchen, bevor die Software dafür programmiert wird“, erklärt Cao.
Dieses scheinbar simple Verfahren ist wichtig, denn chinesische Autofahrer haben oftmals ganz andere Vorlieben und Verhaltensmuster als Nutzer in anderen Ländern. „Die asiatischen Kunden und die lokalen Begebenheiten zu verstehen und dieses Verständnis in landesspezifische Technikanforderungen zu übersetzen, ist eine unserer Hauptaufgaben“, sagt Saad Metz, Leiter des Audi Entwicklungszentrums in Peking. „Alle unsere Systeme müssen den Fahrer und dessen individuelle Bedürfnisse optimal unterstützen und intuitiv bedienbar sein. Deshalb steht immer der Mensch im Zentrum unserer Entwicklungsarbeit.“
Seit zwei Jahren betreibt Audi das Innovationszentrum im Pekinger Künstlerviertel. In sieben Abteilungen arbeiten derzeit 235 Mitarbeiter in Bereichen wie Trendscouting, Produktentwicklung, Lokalisierung und Erprobung. „Damit nehmen wir als erster internationaler Audi Entwicklungsstandort eine Pionierrolle ein“, berichtet Metz. Bei der Applikationsentwicklung, der Fahrzeugerprobung und der Lokalisierung arbeiten die Ingenieure nicht nur mit der Firmenzentrale in Ingolstadt, sondern auch mit dem Forschungs- und Entwicklungsbereich der Volkswagen Group China und mit einzelnen Werken zusammen.
Um eine neue Menüstruktur für die Zieleingabe zu testen, wird diese zunächst handschriftlich von Testkunden auf Karten simuliert. Später werden dann die daraus gewonnenen Erkenntnisse in das digitale Navigationssystem übertragen.
Die Schriftzeichen können entweder aus einer Liste ausgewählt oder mit dem Finger auf das MMI-Touchpad gezeichnet werden. Das System erkennt rund 29.000 unterschiedliche Zeichen – und damit fast den gesamten chinesischen Wortschatz.
„Durch die Simulation sehen wir die Reaktion der Kunden auf das System, bevor die Software dafür programmiert ist.“
Cao Shanshan, Mitarbeiterin Audi Elektrik- und Elektronikzentrum Peking
Insbesondere bei Bedienelementen und Eingabesystemen unterscheiden sich die Anforderungen asiatischer Kunden deutlich von den Wünschen in anderen Regionen der Welt. So bevorzugen sie zum Beispiel flachere Menü-Strukturen statt hierarchisch angeordneter Ebenen, durch die man sich schrittweise klicken muss. Für die nächste Generation seines Navigationssystems arbeitet Audi in Peking daher an einer neuen Eingabestruktur: Der Fahrer soll bereits auf der ersten Bedienebene die Zieldaten vollständig eingeben können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in China genaue Adressdaten mit Straße und Hausnummer unüblich sind. Deshalb führt beispielsweise bei der Suche nach einem Restaurant schon die Eingabe des Namens zum Erfolg. Wichtige Orientierungspunkte sind zudem die Namen großer Gebäudekomplexe, die das Navigationssystem kennen und präzise zuordnen muss.
Mit der landesspezifischen Weiterentwicklung der Mensch-Maschine-Schnittstelle erfüllt Audi sein Versprechen „Vorsprung durch Technik“ auch im digitalen Bereich. Der Premiumhersteller sucht dabei die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. In einem gemeinsamen Projekt mit der renommierten Tongji-Universität in Schanghai werden zunächst die spezifischen Kundenbedürfnisse durch regionale Trendforscher aufgenommen. Diese Erkenntnisse setzen die Ingenieure und Designer in Peking um: Sie erarbeiten und erproben gemeinsam mit der Technischen Entwicklung in Ingolstadt Serienlösungen und sichern sie durch umfassende Tests ab.
„Wir adaptieren die Lösungen immer so, dass sie die chinesischen Ansprüche erfüllen“, erklärt Cao. Ein anschauliches Beispiel ist der „Points-of-Interest-Call“. Durch einen Klick des Fahrers ruft das System automatisch im Audi Service Center an. Der Person, die den Anruf entgegennimmt, werden Position und Fahrtrichtung des Kunden übermittelt. Der Fahrer nennt ihr einfach das gewünschte Ziel und bekommt die Navigationsdaten direkt auf das Display seines Fahrzeugs geschickt. „Viele Chinesen nehmen diesen Service gern in Anspruch, anstatt die Daten ins System einzutippen“, sagt Cao.
Das liegt nicht zuletzt an der komplizierten Schrift. China, Taiwan, Hongkong, Japan und Korea verfügen über Zeichensätze, die mit herkömmlichen Eingabemethoden nur schwer zu erfassen sind. Denn all diese Sprachen verwenden aus dem Chinesischen stammende Zeichen, die nicht als Alphabet zu verstehen sind. Vielmehr trägt jedes Zeichen eine eigene Bedeutung. Audi Fahrer können daher bereits heute mit dem Finger Schriftzeichen auf einem Multi Media Interface (MMI) Touchpad eingeben, das sich auf dem Dreh-/Drück-Steller des Infotainment-Systems oder der Mittelkonsole befindet. Das System erkennt rund 29.000 unterschiedliche Zeichen und deckt damit fast den gesamten chinesischen Wortschatz ab. Hinzu kommen noch über 7.200 koreanische und 6.700 japanische Schriftzeichen, die das System zielsicher erkennt.
„Asien entwickelt sich sehr dynamisch. Der Trend zur Individualisierung ist überall zu spüren, aber auch Zukunftsthemen wie pilotiertes Fahren oder Fahrerassistenzsysteme werden in China eine große Rolle spielen“, berichtet Metz. „Smartphones und Tablets sind Treiber dieser Entwicklung, die Erwartungen an unsere Systeme ändern sich ständig.“ Die Ingenieure im Audi Forschungslabor arbeiten stetig daran, die Bedienphilosophien den verschiedenen Märkten anzupassen. „Das ‚Audi Gen’ bleibt dabei aber stets erhalten“, betont Metz. Denn so unterschiedlich die kulturellen und sprachlichen Anforderungen an die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine auch sind: Ein Mensch bleibt ein Mensch, und ein Audi bleibt ein Audi.
FOTOGRAFIE
Andreas Mader